Tuesday, March 8, 2016

Das ewige Piepsen der ständigen Bevormundung

Es sieht aus, als ob sich im IT-Slang ein neues Wort eingenistet hätte: Es heisst “Nudging“ und kommt aus dem Englischen ins neudeutsche IT-Vokabular, wie alle derartigen Fachausdrücke, die etwas auf sich halten. In der Politik gibt es Nudging schon lange; mit der zunehmenden Digitalisierung fängt es an, auch in unserem täglichen Leben eine immer grössere Rolle zu spielen.

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To nudge heisst, jemanden anzustossen, ein wenig nachzuhelfen. Dem Nudging liegen zwei ganz grundsätzliche Annahmen zugrunde.
Erstens: Dass es Menschen gibt, die sehr viel schlauer sind, als der grosse Rest, und dass diese Besserwisser deshalb dazu qualifiziert sind, die Massen in jene Richtung anzustossen, die sie als vorteilhaft erachten. Stichwort: Politik und Medien. Zweitens: Ein ständig wachsendes Sicherheitsbedürfnis, das dazu führt, dass Konsumenten und Konsumentinnen erstmals nichts dagegen haben, sich an elektronisch vorgegebene Verhaltensregeln zu halten, solange sie dadurch ihr Sicherheitsgefühl steigern können. Stichwort: Elektronik.
Es gibt sogar schon ein Buch zum Thema: “Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstösst“ heisst der Titel, geschrieben wurde es von Richard Thaler und Cass Sunstein. Den beiden professoralen Autoren zu Folge, geht es beim Nudging um “liberalen Paternalismus“; US-Präsident Barack Obama soll das Konzept gerne einsetzen – wen wundert‘s. Das Handelsblatt hat allerdings schon in der Kurzrezession des Buches auf einen ganz grossen Haken des Konzepts hingewiesen:
“Der Ansatz geht davon aus, dass der Entscheidungsarchitekt keinen eigenen Nutzen aus der Sache ziehen will. So altruistisch sind aber die wenigsten Menschen. So soll es auch Kantinen geben, in denen nicht das gesündeste, sondern das teuerste Gericht ganz vorne steht. Auch jeder Kantinenbetreiber ist sich letztlich selbst der Nächste…“
Nudging im digitalen Bereich kann noch aus ganz anderen Gründen problematisch sein. Klaus Geiger und Holger Tschäpitz gehen in einem ausführlichen Artikel auf welt.de darauf ein. Sie zitieren zum Beispiel den Ökonomen und Nudging-Experten Jan Schnellenbach, der vor einer Bevormundung der Bürger warnt. Mit Nudging würden Entscheidungen moralisch bewertet, sagt er. Man signalisiere, was man für gut und richtig halte. Das sei Bevormundung. Schnellenbach ist nicht der Einzige, der das für problematisch hält. Auch andere Fachleute kritisieren den Trend zu dieser ständigen elektronischen Fürsorge, die uns davor behüten soll, eigene (schlechte) Erfahrungen zu machen:
“Die Waschmaschine ist fertig: Es piept so lange, bis die Trommeltür geöffnet ist. Die Spülmaschine ist fertig: Es piept dreimal. Ein Gegenstand liegt auf der Kochplatte: Wieder ein Warnton. Wir werden informiert, wir werden gewarnt, uns wird geholfen, uns richtig zu verhalten. Und wir werden zum Handeln gezwungen. Auch wer das Haus verlässt und ins Auto steigt, entkommt den akustischen Erziehern kaum noch. An die Anschnall-Warnung haben sich die meisten Menschen inzwischen gewöhnt. Neuerdings bleibt es nicht dabei. Das Navigationssystem meldet sich zu Wort, wenn die Geschwindigkeit zehn Kilometer pro Stunde zu hoch ist oder der Abstand zum Vordermann nicht mehr gewissen Vorgaben entspricht. Das Cockpit meldet zugleich, dass es mal wieder Zeit für eine Pause ist.
Aber wollen wir das? Mancher Nutzer mag es hilfreich finden, andere finden es nervig. Das aber ist den Herstellern egal. Denn die Designer und Ingenieure haben sich längst entschieden: für den ewigen Piepton.“
Die Digitalisierung hat elitären Besserwissern die Tools gegeben, die sie zum Nudging einsetzen können. Die Frage ist, ob die Verbraucher sich dies längerfristig gefallen lassen werden.

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