Gehören Sie auch zu jenen News-Konsumenten, die sich im Internet, am Ende eines Artikels, auch noch die Kommentar der Leser zu Gemüte führen? Das kann zu ganz verschiedenen Reaktionen führen: Entweder, man gibt kopfschüttelnd auf, oder man liest gebannt weiter – kann die Augen nicht abwenden. Leserkommentare üben, gerade wegen der oft zu Tage tretenden Ignoranz und Grobheit, eine Faszination nicht unähnlich eines Autounfalls aus, den wir beim Vorbeifahren beobachten – wir erschrecken, und doch können wir den Blick nicht abwenden. Genau deshalb werden derartige Leserkommentare von den meisten Onlinemedien geschätzt: Sie ziehen Leser an.
Leserkommentare im Blick: Umstrittene Themen, zum Beispiel die Asylpolitik, lösen besonders heftige und zahlreiche Kommentare aus. |
Obwohl Kommentare von fast allen seriösen Onlinemedien gefiltert und “zensuriert“ werden, führen Sie den Leser an einen virtuellen Stammtisch, wo die Fäuste auf die Tischplatte krachen, kein Blatt vor den Mund genommen werden muss, und wo sich die Stammgäste auch schon mal gegenseitig virtuell an die Gurgel gehen. Zurückhaltung ist hier keine Tugend: Wer will, kann zu jedem Thema anonym seinen Senf absondern; nicht mal die Rechtschreibung muss stimmen.
Der Tagesanzeiger hat jetzt in einem Hintergrundbeitrag das Thema Leserkommentare beleuchtet. Dabei kommen einige interessante Fakten zutage; so auch, dass bis zu 70 Prozent der Kommentare von den Redaktionen nicht veröffentlicht werden. Der Artikel zitiert das Fachmagazin «Schweizer Journalist», das die Freischaltquoten beim Blick bei nur 30 bis 40 Prozent ansetzt. Bei 20 Minuten online sind es dann schon 65 Prozent.
Doch wieso wird überhaupt so viel Online kommentiert? Zitat aus dem Tagi-Artikel:
“Was die Nutzer tatsächlich zu Onlinekommentaren verleitet und wieso sie sich dabei manchmal im Ton vergreifen, weiss Thomas Friemel, Professor an der Universität Bremen und Leiter des Instituts für angewandte Kommunikationsforschung in Zürich. Seine Umfrage unter Onlinenutzern hat ergeben, dass die meisten ihre Meinung kundtun, um andere zu informieren oder zu überzeugen. Das Motiv, Frust loszuwerden oder Dampf abzulassen, gaben sie als zweitrangig an, genauso wie den Austausch untereinander. Aber: Gelesen werden Kommentare nicht etwa, um sich zu informieren, sondern zur Unterhaltung oder Belustigung. […] Eine gesellschaftliche Verrohung, die sich in den menschenverachtenden Onlinekommentaren spiegelt, will der Wissenschaftler nicht feststellen. «Onlinekommentare spülen lediglich Facetten der Gesellschaft an die Oberfläche, die schon immer vorhanden waren und die nun im anonymen Internet eine Plattform finden.» Früher wurden Menschen physisch an den Pranger gestellt und öffentlich vorgeführt, heute geschieht dasselbe verbal im realen Leben genauso wie auf Onlineportalen.“
Immerhin scheinen sich immer mehr Onlinemedien Lösungen zu überlegen, wie die Tonlage in Kommentarforen gehoben werden könnte. Oft versuchen solche Lösungen, den Schleier der Anonymität zu lüften. Das scheint auch beim Tagi der Fall zu sein:
“Newsnet prüft derzeit die Möglichkeit, eine Nutzeridentität einzuführen. Die Kommentierenden hätten dann die Option, ein Profil zu erstellen, das ihre Vorlieben oder ihr Fachwissen enthält und in dem auch ihre Kommentare gesammelt werden. Ansichten wie «Asyl gehört in allen Ländern von ganz Europa abgeschafft» werden dadurch zwar nicht weniger, aber vielleicht werden sie nicht mehr so leichtfertig hinausposaunt.“
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