Monday, September 1, 2014

Die Smartphone-Kultur und der “Niedergang der Höflichkeit“

“Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen“, das wusste man schon im 16. Jahrhundert. Die digitale Revolution hat allerdings das Tempo dieser Veränderung derart beschleunigt, dass inzwischen auch viele Normen der zwischenmenschlichen Beziehung nicht mehr bestehen. Besonders beklagt wird der Verlust der Höflichkeit im schriftlichen Umgang – zumindest von jenen, die sich noch an vordigitale Zeiten erinnern können.

Das wohl bekannteste Buch über den höflichen
 Umgang erschien erstmals im Jahre 1788.
Schlechte Kommunikation scheint also durchaus
 kein digitales Phänomen zu sein.
Die Höflichkeit ist üblicherweise das erste Opfer der Eile – und in unserer digitalen Gesellschaft sind wir ja davon überzeugt, dass es fast immer eilt. Das führt nicht selten zu Kommunikationsfehlern, die sich sehr negativ auf Beziehungen, vor allem geschäftliche, auswirken können. Um dies zu vermeiden gibt es wiederum Spezialisten, die sich bemühen, uns den richtigen Umgang mit den digitalen Kommunikationsmitteln zu vermitteln. Wie es scheint, nicht immer erfolgreich. Zitat aus einem NZZ-Artikel zum Thema:
“Höflichkeit und Etikette sind keine Selbstverständlichkeiten mehr, sie sind schon fast passé. Und dies nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen Kontext. E-Mails, die vor rund zwanzig Jahren das Schreiben von Briefen und mittlerweile auch das Telefonieren weitgehend ersetzt haben, werden ohne Anrede immer üblicher, statt den «freundlichen Grüssen» genügen «Gruss» oder gar die Abkürzungen «Mfg» und «Lg».
Joachim R. Höflich, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt, bestätigt diese Entwicklung: «Herkömmliche Muster haben sich aufgelöst. Forschheiten nehmen zu.» […] Viele von Höflichs Kollegen sind mittlerweile dazu übergegangen, Mails mit gravierenden Formfehlern nicht mehr zu beantworten, denn die fehlende Form führt nicht selten zu fehlender Distanz. «Assistenten werden per Mail markant attackiert», erzählt Höflich, «in einem Ausmass, das zur Briefzeit nie möglich gewesen wäre.» Wenn er seine Studierenden frage, welche Höflichkeitsformen sie kennten, herrsche grosses Schweigen: «Sie haben den Begriff nicht mehr im Kopf. Höflichkeit gilt für sie als Relikt vergangener Zeiten.» Es versteht sich von selber, dass mit der Höflichkeit auch Respekt verloren geht. Und damit auch soziale Kompetenz, die immer auch ein Ausloten von Nähe und Distanz umfasst. «Doch wer grüsst heute noch oder hält die Türe auf?», sagt Höflich und fügt vielsagend hinzu: «Eine E-Mail kann nicht höflicher sein, als die Gesellschaft, in der sie geschrieben wird.»
Was tun? Ist es überhaupt möglich und wünschenswert, diese Entwicklung zu verlangsamen, oder sind es nur die Ewiggestrigen, die sich über den Verlust der Umgangsformen aufregen? Im privaten Umgang mit WhatsApp, SMS und E-Mail muss wohl jeder selber entscheiden. Im Geschäftsleben kann die richtige digitale Kommunikation durchaus über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.


1 comment:

  1. Es geht weniger darum, bestimmte Regeln einzuhalten als vielmehr darum, sich der Konsequenzen unserer Worte und unseres Tuns bewusst zu sein.

    Immer wieder erlebe ich in der Kommunikation im Alltag einen – möglicherweise etwas verblüffenden - Grund dafür, dass der „Sender” oder die „Senderin” anderen gegenüber deshalb wenig Respekt und Wertschätzung entgegenbringt, weil er oder sie genau diese beiden Aspekte auch sich selbst gegenüber vermissen lässt. Diese Menschen fühlen sich ruhelos, gehetzt und oft unglücklich:
    - Sie stehen unter Zeitdruck.
    - Sie laufen im Hamsterrad und halten die dortigen Sprossen für die Stufen auf der Karriereleiter.
    - Sie demonstrieren ihre persönliche Wichtigkeit über den Zustand des „Beschäftigtseins”.

    Um ihrer eigenen Gesundheit willen ist es daher wertvoll, wenn ein Adressat sie darauf hinweist, was er „zwischen den Zeilen” erkennt. Harmonisch, achtsam und sorgfältig kommunizieren ist zuallererst ein Geschenk an uns selbst. Dass wir damit beim Adressaten „gut ankommen”, ist das Sahnehäubchen.

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