Friday, May 2, 2014

Twitter: Liebling der quasselnden Klasse

Man gibt sich vielerorts überrascht darüber: Twitter, das Medium für Wort gewordene Geistesblitze, die nicht länger als 140 Zeichen sein dürfen, scheint plötzlich nicht mehr ganz so populär zu sein, wie auch schon (zum Beispiel vor dem Börsengang, im November 2013). Das Wachstum stockt, der Dienst wird von den registrierten Usern weniger benutzt, und die Aktienkurse brechen ein. Ist der Reiz des Neuen schon am Abklingen, oder ist die Twitter-Nische der quasselnden Klasse schon voll ausgeschöpft?

Noch zwitschert das Vöglein, aber Twitter schrumpft - zumindest an der Börse.
Den Begriff „quasselnde Klasse“ haben wir übrigens nicht selber erfunden, sondern nur übersetzt: Im Englischen heissen diejenigen, die ständig zu jedem Thema eine Meinung haben und diese auch unbedingt kundtun müssen,“the Chattering Classes“. Dazu gehören natürlich die allermeisten Politiker und politische Aktivisten, echte und möchtegern, aber auch so gut wie alle Journalisten. Und genau diese sind es auch, die Twitter zu einem fulminanten Start mit überteuertem Börsengang verholfen haben. Twitter wurde in den Medien so oft genannt und immer wieder als Kommunikationsmittel gelobt, dass es gar nicht anders konnte, als  abheben. Dabei haben Politiker und Aktivisten, wie auch Prominente, die gerne prominent bleiben möchten, gute Gründe auf Twitter abzufahren, sie können damit die Öffentlichkeit sozusagen kostenlos mit ihrer Meinung zu jedwedem Thema eindecken - zumindest jene Öffentlichkeit, die ihre 140-Zeichen-Ergüsse abonniert hat.
Den Rest erledigen dann die Journalisten.
Für diese hat es Twitter nämlich so einfach wie nie gemacht, ihre Thesen bestätigen zu lassen. Will heissen: Man schreibt einen Artikel, stellt eine These auf und garniert diese dann mit Tweets, die man im Internet so einfach finden kann, wie Sand am Strand. Dadurch erreicht man zwei Ziele: Erstens verstärkt man seinen eigenen Artikel in der digitalen Echokammer, und zweitens gewinnt man in gewissen Kreisen sogar noch an Glaubwürdigkeit - schliesslich belegen die publizierten Tweets, dass man nicht der einzige ist, der so denkt.
Eine weitere Entwicklung, die wahrscheinlich dem Journalismus nicht zu mehr Ansehen verhelfen wird, ist die Tatsache, dass gewisse Medien auch Tweets selber als wichtige News behandeln, solange sie von einem prominenten Twitterer abgesetzt worden sind.
Es scheint nun allerdings, dass die meisten Menschen doch nicht zur quasselnden Klasse gehören und Twitter unter anderem deshalb an seine Grenzen stösst. Zitat aus der NZZ:
“ Experten waren zuletzt durchaus davon ausgegangen, dass Twitter sich zu einer Branchengrösse wie Facebook entwickeln könnte. Das hatte den Börsenwert im Dezember bis auf 46 Mrd. $ getrieben, bei einem Umsatz von gerade einmal 665 Mio. $ im Jahr 2013. Ab Februar ging es für die Aktie steil bergab, sie hat seitdem knapp 50% ihres Wertes verloren. Alleine am Mittwoch verliert das Papier bis zu 12%. Im Mai läuft zudem bei vielen Aktionären eine Haltefrist aus. Dann könnten bis zu 489 Mio. Twitter-Aktien verkauft werden – rund 83% aller ausstehenden Papiere.“
Wir glauben nicht daran, dass Twitter sterben wird. Aber es wird an seine Grenzen stossen, genau deshalb, weil es in vielen Fällen nur als gigantische Echokammer genutzt wird. In der Zwischenzeit wird es interessant sein, die Kurse des Unternehmens an der Börse zu verfolgen.


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