Monday, July 2, 2018

Das Internet und seine lausige Diskussionskultur


Was ist schlauer: Dass wir uns im Internet anstands- und hemmungslos die Meinung sagen, versteckt hinter anonymen Usernamen, oder dass wir es vermeiden, überhaupt in die Nähe der digitalen Kommentarsümpfe zu kommen, damit wird nicht in Gefahr geraten, darin zu versinken?

Natürlich wird auch der Artikel zum Thema Kommentare entsprechend
kommentiert.                                                                       Screengrab rp-onile
Zumindest haben wir als User die Wahl, ob wir die Kommentare lesen möchten. Bei jenen Medien, die ihre Websites immer noch als Kommentarspalten und damit als Ventil für ihre Leser zur Verfügung stellen, gibt es aber Mitarbeiter, die sich täglich mit dem Thema befassen müssen. Wie diese mit den täglichen Anfällen wütender User am besten umgehen, hat jetzt eine Studie der Hamburg Media School herauszufinden versucht:
“Die Medienexperten untersuchten 24 Online-Diskussionen auf Facebook zu 16 journalistischen Beiträgen von Deutschlandfunk Kultur, Rheinische Post Online, RTL und Tagesschau. Auch die Redaktion Spiegel Online unterstützte die Studie "Hasskommentare im Netz" mit ihren Erkenntnissen. Genauer betrachtet haben die Experten die Reaktionen auf Beiträge zu Themen wie Flüchtlinge, Sexismus, AfD sowie regionale Berichte. Dabei sprechen die Wissenschaftler von "gekaperten Diskursen". Wenige Nutzer bekämen im Diskussions- und Kommentarverlauf die Oberhand, die Debatte eskaliere.“
Die Wissenschaftler der Media School sind davon überzeugt, dass sich der Ton durch gezielte Moderation sofort verbessern lasse. Moderieren statt ignorieren, müsste das Motto also heissen, sagen sie. Gemäss der Studie sei nämlich nur etwa ein Prozent der Kommentierer für die schlechte Stimmung in den meisten Kommentarspalten verantwortlich.
Das mag sein, heisst aber natürlich nicht, dass die Leserbeiträge dadurch lesenswerter werden. Sicher ist,  dass das Internet in seinen Kommentarspalten die richtige Welt widerspiegelt. Da die Anonymität hier allerdings nicht so einfach funktioniert, halten sich auch intolerante Trolle gegenüber ihren Mitmenschen meistens zurück. Auch im nicht-virtuellen Bereich hat aber die Diskussionskultur im digitalen Zeitalter massiv gelitten. Die Blasenbildung im Internet und die damit einhergehende Isolation vieler User ist übergeschwappt ins richtige Leben und führt zu Fehlinformation, Intoleranz und dem Zerfall der Diskussionskultur. Im richtigen Leben wird allerdings weniger getobt und beschimpft - hier schweigt man sich, zumindest in zivilisierten Kreisen, an.  Darüber hat sich kürzlich NZZ-Autor Thomas Ribi in einem ausgezeichneten Artikel ausgelassen:
“Es gibt Dinge, die sind furchtbar einfach: Wer Fleisch isst, handelt verantwortungslos, wer Auto fährt und sein Haus mit Öl heizt, vergeht sich vorsätzlich an der Umwelt, und wer dagegen ist, dass die Grenzen Europas vorbehaltlos für alle offenstehen, ist ein hartherziger Egoist […]Die Toleranz endet, wo jemand die Unverschämtheit besitzt, eine andere Meinung zu haben. Was irritiert, provoziert und die eigenen Denkgewohnheiten herausfordert, wird nicht energisch bekämpft, sondern ganz leidenschaftslos von der Diskussion ausgeschlossen. Selbstverständlich nicht, ohne dass man vorher ein passendes Etikett aufkleben würde. Schliesslich will man wissen, in welche Schmuddelecke man die Geister bannt, die den häuslichen Frieden stören: neoliberal, populistisch oder reaktionär.“
Da es unter diesem Artikel keine Kommentarecke gibt, werden wir nie wissen, wieviel Wut die Analyse bei den Lesern ausgelöst hat.

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