Sunday, October 4, 2020

Digitale Technologie vs. menschliche Schwäche

Wenn der Mensch einen schlechten Tag hat, nützt auch das beste digitale Echtzeit-Tracking nichts mehr. Experten wissen: Solange Menschen involviert sind, passieren Fehler, die einem digitalen System nie unterlaufen würden.


Ein Paket auf Weltreise per Kurier: Von den Philippinen nach China, 
nach Alaska, nach Kentucky, nach Ontario, Kanada, nach Quebec, 
dann New Brunswick (immer noch in Kanada), nach Nova Scotia, 
nach Neufundland - und wieder zurück nach  New Brunswick. Die 
Lieferadresse befindet sich in Nova Scotia.
 

Es ist sehr ärgerlich, während Stunden auf ein Paket zu warten, das von einem Kurier in einem bestimmten Zeitfenster geliefert werden sollte und dann doch nicht ankommt. Die grossen Kurierfirmen der Welt transportieren jedes Jahr Milliarden Pakete; allein in Deutschland werden jeden Tag im Durchschnitt 10 Millionen Pakete zugestellt. Das sind gleichviele, wie allein das amerikanische Kurierunternehmen FedEx täglich an Kunden abliefert. Die wichtigen Kurierunternehmen sind natürlich voll digitalisiert: Jede Sendung wird gescannt und kann (theoretisch) vom Absender bis zum Empfänger genau verfolgt werden. Die Technologie soll auch dazu beitragen, Transportwege effizient zu bewältigen – in der kürzest möglichen Zeit. Die Unternehmen versprechen denn ihren Kunden auch, dass sie genau kalkulieren können, wann ein Paket, zum Beispiel ein dringend benötigtes Ersatzteil, bei ihnen ankommen wird. Wie wir letzte Woche mit einem der grössten Kurierunternehmen persönlich erleben konnten, funktioniert das genau so lange, wie es funktioniert – wenn der Prozess einmal entgleist ist, trägt auch die Digitalisierung nicht mehr zum Kundendienst bei. Das läuft dann wie folgt ab: Das Paket ist gemäss Echtzeit-Tracking im Lieferwagen und soll demnächst ausgeliefert werden. Was dann nicht passiert. Mehrere Stunden nach dem Zeitfenster, dass für die Lieferung geplant war, wenden wir uns an den virtuellen Bot auf der Website des Kurierunternehmens. Dieser verweist auf das Echtzeit-Tracking auf der Webpage und betont, dass es keine besseren Informationen gebe. Irgendwann wird der Bot dann doch weich und rückt eine Kundendienst-Telefonnummer heraus, die wir anrufen können. Der Anruf wird (überraschenderweise) nach nur etwa fünf Minuten Wartezeit beantwortet, hilft aber nicht weiter. Der freundliche Mitarbeiter (in einem Callcenter auf einem anderen Kontinent) hat offensichtlich keine zusätzlichen Informationen zur Verfügung und rät, einfach mal zu warten… Zwischenzeitlich zeigt das Echtzeit-Tracking, dass das Paket am Morgen vor der Auslieferung in einer Filiale des Kurierunternehmens rund 70 Kilometer von der Lieferadresse entfernt gescannt worden ist. Da es nicht ausgeliefert wurde, müsste es offensichtlich noch dort sein. Ist es aber nicht – aber das erfahren wir erst zwei Tage später, als das Echtzeittracking plötzlich anzeigt, unser Paket sei vom Zoll abgefertigt worden und befinde sich jetzt etwa 1000 Kilometer entfernt in einem Sortierzentrum des Kuriers. Nach Kontaktaufnahmen unsererseits auf allen möglichen Kanälen, zeigt das Echtzeittracking dann plötzlich an, dass etwas schief gelaufen ist: Ihre Sendung wurde falsch sortiert“, heisst es da, "das könnte zu Verspätungen führen…“ Ein neues Lieferdatum wird nicht angegeben – was zum Verdacht führt, unser Paket sei in der Flut der Kuriersendungen nicht nur gestrandet, sondern untergegangen. Glücklicherweise hält dieser Zustand nur etwas mehr als 24 Stunden an – dann tut sich was, auf der Kurierwebsite: Ein neues Lieferdatum (allerdings erst in drei Tagen) wird angegeben, und das Paket wird in einem Verteilzentrum, das einige 100 Kilometer näher bei uns liegt, gescannt.

Das Paket ist also immer noch beim Kurier – glücklicherweise handelt es sich nicht um ein wichtiges Ersatzteil oder ein lebenswichtiges Medikament. Morgen, eine Woche nachdem die Auslieferung gemäss Logistikplanung hätte stattfinden sollen, findet der zweite Versuch statt, das Paket heimzubringen. Wir drücken allen Beteiligten, am meisten uns selber, die Daumen.

Es braucht nur eine Person, die einen schlechten Tag hat, einen Scan nicht durchführt oder eine Sendung falsch sortiert – und schon sind die Informationen an Ihrem Bildschirm nicht mehr viel Wert. Die digitale Logistik grosser Kurierunternehmen und die damit zusammenhängenden Informationssysteme erwecken den Eindruck totaler Transparenz. Lassen Sie sich davon nicht täuschen.

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